29.04.2020 - Die Corona-Pandemie trifft auch die Milchbranche mit voller Wucht. Denn trotz des anhaltend hohen Absatzes von Milch und Milcherzeugnissen im Einzelhandel, gerät die bundesweit erzeugte Milch unter Kostendruck. Grund dafür sind die geschlossene Gastronomie und Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung, vor allem aber auch der Shutdown im Export und die Überschüsse für den globalen Handel. Slow Food fordert angesichts dieser in kritischen Situationen immer wiederkehrenden Misere einen entschiedenen Systemwandel in der Milcherzeugung.
Dieses Mal ist es nicht der Trinkmilchpreis, der die Milchbäuer*innen und die Milchbranche in Bedrängnis bringt. Die Verhandlungen mit dem Handel entwickelten sich hier jüngst sehr positiv. Es ist der Shutdown der Corona-Krise bei gleichzeitigem Überangebot von Milch, welches die Branche systematisch einplant, um mit europäischer Milch die Weltmärkte zu „bedienen“. Die EU zählt zu den weltweit größten Milchexporteuren und Deutschland zu den wichtigen Mitstreitern. Durch die Pandemie stockt nun der Export; Arbeitskräfte fehlen; Lieferketten sind blockiert. Molkereien sehen sich gezwungen, das Angebot an Frischprodukten zu reduzieren und immer mehr Rohmilch zu Milchpulver zu verarbeiten. Sie gehen ihrerseits sogar dazu über, ihre Lieferant*innen aufzufordern, weniger Milch zu liefern. Der Milchmarkt steckt in der Krise und der Deutsche Bauernverband ruft zusammen mit dem Milchindustrieverband MIV und der Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner nach Öffnung der subventionierten privaten Lagerhaltung. Slow Food lehnt das ebenso wie der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) ab und fordert eine freiwillige Mengenreduktion gegen Ausgleichszahlungen. Denn die Erfahrung zeigt, dass der spätere Abverkauf von teuer eingelagertem Milchpulver und Butter lediglich erneut den Preis auf den Weltmärkten drückt.
Darüber hinaus aber fordert Slow Food, endlich einen tragfähigen „Wandel“ des Systems Milch zu vollziehen, weil die Logik dieses europäischen Wirtschaftssektors zu wiederkehrenden Krisen führt. Dazu Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland: „Die Corona-Krise zeigt die Fragilität einer Branche, welche Milch unter Kostendruck und in Übermengen für den globalen Handel mit Billigkäse und Milchpulver erzeugt und sich beharrlich weigert, für Krisen vorzusorgen. Dabei ist der Umgang mit Milch als ‚Ramschprodukt‘ weder von Seiten der Industrie, der Politik noch von den Verbraucher*innen zu verantworten. Die Versorgung mit unseren Grundnahrungsmitteln sollte so weit wie möglich lokal, regional und überschaubar bleiben und sich nach tatsächlichen Nachfragen ausrichten.“
Wege für eine resiliente Milchwirtschaft hat Slow Food in seiner Studie zur zukunftsfähigen Milchwirtschaft aufgezeigt und anhand zahlreicher Praxisbeispiele gezeigt: Eine wesensgemäße Ernährung der Tiere mit Gras, Klee sowie selbst angebautem Futter, ein nachhaltiges Weidemanagement und die damit verbundene Reduktion ihrer Milchleistung ist ökonomisch tragfähig. Die Kühe leben länger und bleiben gesünder. Beweidung fördert die Biodiversität, erhält Kulturlandschaften und ist eine wichtige Maßnahme für den Klimaschutz. „Bei der so erzeugten Milch können wir überhaupt erst wieder von Qualität sprechen. Wenn wir Verbraucher*innen diese wertschätzen, in Maßen und zu entsprechend höherem Preis genießen, wäre das ein wertvoller Beitrag zur Transformation unseres Lebensmittelsystems“, so Hudson. Slow Food informiert Verbraucher*innen über lokale Milchbetriebe und -verarbeiter*innen, damit sie diese unterstützen und die Betriebe ihre Erzeugung auf die Kund*innenwünsche hin ausrichten. |