Ermordung des Freiburger Arztes Tonio Pflaum 1983 in
Nicaragua gab Anstoß zu ungewöhnlicher Verbindung
Freiburg-Wiwili-Verein blickt auf 25jähriges Bestehen zurück
Zahlreiche Hilfsprogramme als humanitäre Unterstützung
für die Bevölkerung mit Geldern der EU und aus dem
städtischen Haushalt inzwischen in enger Zusammenarbeit
mit dem Freiburg-Wiwili-Verein realisiert
Festakt mit Gästen aus Wiwili am 17. Oktober
Unter den Freiburger Städteverbindungen ist dies eine außergewöhnliche:
Freiburg und Wiwili, ein einschließlich Nachbardörfern
rund 12.000 Einwohner großes Städtchen im Norden
von Nicaragua, sind „nur“ durch eine Städtefreundschaft, nicht
jedoch durch eine formelle Partnerschaft verbunden. Und
dennoch ist diese Städtefreundschaft vitaler als manche offizielle
Partnerschaft mit Brief und Siegel: Sie war und ist
Grundlage zahlreicher Hilfsprogramme, aus denen unter anderem
eine Gesundheitsstation, eine Wasserversorgung,
Schulpatenschaften für fast 50 Kinder, die Wiederaufforstung
von kahlgeschlagenen Waldflächen oder Programme zum
Aufbau einer ökologischen Landwirtschaft entstanden sind –
in der Regel als Hilfe zur Selbsthilfe, für die die Stadt, der
„Freiburg-Wiwili-Verein“ und die Europäische Union finanzielle
und organisatorische Unterstützung bereitstellen und die heute
vor Ort überwiegend durch die „Asociatión de Desarollo
Municipal“ (ADEM, zu deutsch: Verein für Kommunalentwicklung)
betreut und umgesetzt werden.
In diesen Tagen feiern der Freiburg-Wiwili-Verein und die
Stadt Freiburg ein doppeltes Jubiläum: Vor 25 Jahren gründete
sich der damalige „Freundeskreis Tonio Pflaum“ und wenig
später der „Verein zur Förderung einer Städtepartnerschaft
Freiburg-Wiwili“, aus dem der heutige „Freiburg-Wiwili-Verein
zur Förderung und Mitgestaltung einer Städtepartnerschaft
e.V.“ hervorgegangen ist. Und vor genau 20 Jahren, im Oktober
1988, wurde im Freiburger Rathaus das Abkommen unterzeichnet,
mit dem die Städtefreundschaft zwischen der
deutschen Großstadt und der kleinen Gemeinde in Nicaragua
begründet wurde.
Die Geschichte der Städtefreundschaft Freiburg-Wiwili ist jedoch
nicht nur eine Geschichte solidarischer Hilfe, sondern
auch eine Geschichte von Tod und Leid. Drei Menschen, die
sich besonders für die Städteverbindung engagiert hatten,
wurden Opfer von Mordanschlägen. Am 30. April 1983 erschossen
Contras den Freiburger Arzt Albrecht „Tonio“
Pflaum in Wiwili zusammen mit 13 anderen Menschen, darunter
zwei Krankenschwestern. Wiwili, nur eine halbe Stunde
von der Grenze entfernt, war immer wieder Opfer von Angriffen
der Contras, die vom nahen Honduras aus in das Land
eindrangen. Tonio Pflaum war 1980 im Auftrag des Deutschen
Entwicklungsdienstes nach Nicaragua gegangen und
arbeitete am Aufbau einer Gesundheitsstation mit. Bis zu seiner
Ermordung – er wurde nur 36 Jahre alt – hatte er mit seinen
Kollegen rund 25.000 Patienten behandelt, über 200 Entbindungen
und 79 Operationen durchgeführt.
Um sein Lebenswerk weiterzuführen, gründeten sich der
„Freundeskreis Tonio Pflaum“ und der „Verein zur Förderung
einer Städtepartnerschaft Freiburg-Wiwili“ und initiierten den
Bau einer Trinkwasserleitung in Wiwili. Bei den Bauarbeiten
starb ein weiterer Freiburger: Berndt Koberstein, der als Aufbauhelfer
nach Nicaragua gereist war, wurde im August 1986
nahe Wiwili von Contras ermordet.
Die Trinkwasserversorgung sollte das erste von mehreren
erfolgreichen Projekten werden, die bis heute die Städtefreundschaft
zwischen Freiburg und Wiwili mit Leben erfüllen.
Im Oktober 1988 lud der damalige Oberbürgermeister Rolf
Böhme den Bürgermeister von Wiwili, Don Javier Barahona,
zu einem Besuch ein, in dessen Rahmen die Städtefreundschaft
offiziell besiegelt wurde. Auch Javier Barahona wurde
später ein Opfer des Krieges. In den 90er Jahren erschossen
Contras den Kommunalpolitiker, in dessen Haus Tonio
Pflaum einst die Medizinstation gegründet hatte.
Die Stadt Freiburg hat ihre Unterstützung von Beginn an als
humanitäre Hilfe verstanden. Für den Bau der Trinkwasserlei-
tung als erstes Projekt stellte der Gemeinderat insgesamt
365.000 DM bereit, was rund einem Viertel der Gesamtkosten
entsprach; darüber hinaus lieferte die damalige Freiburger
Energie- und Wasserversorgung (FEW) technisches Gerät
und Rohrleitungen und bildete in Freiburg nicaraguanische
Helfer für den Bau und Betrieb der Anlage aus. Von 1993 bis
1998 finanzierte die Stadt Freiburg ein Programm für die Wiederaufforstung
und den Erosionsschutz von gerodeten Waldflächen
mit rund 300.000 DM mit; den Löwenanteil zu den
Gesamtkosten von ca. 1,5 Mio. DM stellte die Europäische
Union zur Verfügung. An das Wiederaufforstungsprogramm
knüpfte auch die Unterstützung für ökologischen Landbau an,
für die im städtischen Haushalt 2001 bis 2005 jährlich 25.000
Euro gewährt wurden. Im letzten Jahr startete ein bis 2012
angelegtes EU-Projekt, das Umweltschutz und nachhaltige
integrierte ländliche Entwicklung in Wiwili und den ländlichen
Gemeinden unterstützt und damit die bisherigen Programme
weiterführt.
Bei allen Vorhaben arbeitet das Bürgermeisteramt eng mit
dem „Freiburg-Wiwili-Verein“ zusammen, der aus eigenen
Spendenmitteln Gelder beisteuert und die Verbindungen in
die Partnergemeinde hält, sowie vor Ort mit der Organisation
„Asociatión de Desarollo Municipal“, in deren Hand die konkrete
Umsetzung liegt. Die Wiwili-Kommission des Gemeinderats,
in der alle Fraktionen vertreten sind, lässt sich regelmäßig
informieren und begleitet die Arbeit mit eigenen Anregungen.
Dass Solidarität mit Wiwili nicht nur eine Sache des Gemeinderats
und des städtischen Haushalts ist, erwies sich unter
anderem nach dem verheerenden Wirbelsturm „Mitch“ im Oktober
1998. Weil der Hurrikan zahlreiche Menschenleben gefordert
und große Teile von Wiwili zerstört hatte, rief die Stadt
zu Spenden für den Wiederaufbau und für die Reparatur der
beschädigten Trinkwasserleitung auf. Binnen weniger Tage
kamen mehr als 500.000 DM (= 250.000 Euro) zusammen,
um die größte Not lindern zu können.
Nach einer Reise nach Wiwili im Frühjahr 2004 rief Oberbürgermeister
Dieter Salomon die „Aktion Bildungsbaustein“ ins
Leben, um Kindern aus armen Familien einen Schulbesuch
zu ermöglichen – bis heute können in ländlichen Gebieten
trotz der von den Sandinisten begonnenen Alphabetisierungskampagne
rund 40 Prozent der Menschen nicht lesen
und schreiben. Auf den ersten Aufruf kamen 10.000 Euro zusammen,
mit denen das Gehalt von Lehrern finanziert wird.
Mittlerweile haben Freiburgerinnen und Freiburger Schulpatenschaften
für fast 50 Kinder in Wiwili übernommen, um ihnen
einen regelmäßigen Schulbesuch zu ermöglichen. Mit
jährlich 360 Euro pro Kind werden die Schulgelder und Lehrer
bezahlt.
Welchen Stellenwert die Städtefreundschaft hat, zeigt das
steigende Interesse an Reisen nach Wiwili. Nach einer ersten
Bürgerreise im Mai 2006 war im Februar diesen Jahres eine
Delegation der Gewerkschaft verdi zu Gast in Wiwili, und im
Mai 2008 besuchte eine Schülergruppe des Droste-Hülshoff-
Gymnasiums mit ihrer Lehrerin Marlu Würmell-Klauss, der
Vorsitzenden des Freiburg-Wiwili-Vereins, die kleine Stadt am
Rio Coco in Nordnicaragua.
In Freiburg ist Wiwili an prominenter Stelle im Stadtbild präsent.
2003 benannte der Gemeinderat die im Volksmund als
„Blaue Brücke“ bekannte Fußgänger- und Radfahrerbrücke
zwischen der Bismarckallee und dem Stühlinger in „Wiwili-
Brücke“ um.
Zum 20jährigen Bestehen der Städtefreundschaft Freiburg-
Wiwili und 25jährigen Vereinsjubiläums erwarten die Stadt
und der Freiburg-Wiwili-Verein als Gäste eines Festakts am
Freitag, 17.Oktober. unter anderem Victoria Moncada und
Arquimedes Collindres von der Organisation „Asociatión de
Desarollo Municipal“ und die Beauftragte der Europäischen
Union für Nicaragua, Sandra Meija.
Dienstag, 14.10., 19 Uhr: Eröffnung der Ausstellung „Wiwilà –
Freiburg 25 Jahre gelebte Solidarität“ durch Bürgermeisterin
Stuchlik und den Freiburg-Wiwili-Verein in der Sparkasse,
Meckelhalle. Öffnungszeiten montags und donnerstags 9 – 18
Uhr, dienstags, mittwochs und freitags 9 – 16 Uhr.
Mittwoch, 15.10., 19 Uhr: Informationsabend für die Freiburger
Schulpaten mit dem Vorstand von ADEM im oberen Saal
der Gerichtslaube
Freitag, 17.10., 19 Uhr: Festakt anlässlich des 20jährigen
Bestehens der Städtefreundschaft mit Ansprachen von OB
Dieter Salomon, Marlu Würmell-Klaus (Freiburg-Wiwili-
Verein), Vertreter der „Asociatión de Desarollo Municipal“ Wiwili,
sowie der EU-Beauftragten für Nicaragua, Sandra Meija
Samstag, 18.10., 19 Uhr: Jubiläumsfest des Freiburg-Wiwili-
Vereins zum 25jährigen Bestehen in der Ökostation; Grußwort
von Bürgermeisterin Gerda Stuchlik.
Sonntag, 26.10., 11 Uhr, Kino Friedrichsbau: Premiere des
Dokumentarfilms „Wiwili–Freiburg – eine Brücke der
Freundschaft“ von Bertram Rotermund |