Zimmereigenossenschaft feiert 25jähriges Jubiläum
„Inseln der Zukunft“, „Arbeiten ohne Chef“, „Gemeinsam mehr erreichen“ - zahlreiche Schlagworte kennzeichnen die Gründung der alternativen Betriebe. Heute ist es eher ruhig um sie geworden. Sind sie vom Markt verschwunden oder haben sie sich zu “normalen“ Unternehmung rückentwickelt oder aufgelöst? Immerhin sind dies die einzigen Alternativen die Genossenschaftstheoretiker wie Franz Oppenheimer bei Alternativbetrieben für möglich halten. Zumindest die Zimmereigenossenschaft Grünspecht eG feiert dieses Jahr ihr 25jähriges Jubiläum. Ihre Entwicklung straft Skeptiker innovativer Betriebsformen Lügen. Die Grünspechte mit Firmensitz in Freiburg Hochdorf sind heute mehr als in den Anfangsjahren eine sozial und wirtschaftlich erfolgreiche Produktivgenossenschaft.
Misstrauen gegenüber selbstherrlichen Chefs hat bei der Zimmerei Grünspecht Tradition. Vor 25 Jahren wurde die Zimmerei als selbstverwalteter Betrieb gegründet. "Wir wollten nicht, dass bei uns jemand den strammen Max spielt", betonen die Gründungsväter Hermann Hallenberger und Wilfried Pauer. Sie waren wichtige Ideengeber, als in der Freiburger Kneipe "Specht" (heute "Babeuf") im Dunst selbst gedrehter Zigaretten über ein Gründungskonzept diskutiert wurde. Zuvor hatte Hallenberger eine Anzeige geschaltet, um Gleichgesinnte zu finden. Die Idee passte zur Zeit: Die Umweltbewegung hatte begonnen, konkrete Projekte umzusetzen. Alternativbetriebe wollten zeigen, dass Leben und Arbeiten auch jenseits von Privateigentum, autoritären Entscheidungsstrukturen und Gewinnmaximierung möglich sind.
Anfängliche Basisdemokratie
Zu Beginn prägte bei Grünspecht die Vollversammlung als zentrales Entscheidungsgremium den Arbeitsalltag. Alle Mitarbeiter nahmen in vierzehntägigem Rhythmus gleichberechtigt daran teil. Der Individualismus der Handwerker und gemeinsame Entscheidungsfindung passten nicht zusammen. Chaos, wirtschaftliche Instabilität und Demotivation vieler Gründungsmitglieder führten dazu, von dieser Struktur Abstand zu nehmen. Einen zusätzlichen Einschnitt brachte die Wahl der genossenschaftlichen Rechtsform. Durch sie gewannen formale Strukturen an Bedeutung. Nachdem auch hier die Anfangseuphorie vorbei war, trafen sich regelmäßig nur noch fünf Mitglieder, mit den Funktionen Vorstand und Aufsichtsrat. Sie fällten alle wichtigen Entscheidungen. Als einzige der Belegschaft waren sie auch Genossenschaftsmitglieder.
Krisen und Motivationsschwund gehören heute der Vergangenheit an. Die Zimmereigenossenschaft hat sich zu einer angesehenen Holzbaufirma im Raum Freiburg gemausert. Sie steht für energiesparendes und gesünderes Bauen im Alt- und Neubausektor. Reparaturen von Balkonen und Dachstuhl gehören genauso wie die schlüsselfertige Erstellung mehrgeschossiger Holzhäuser zum Leistungsspektrum. Zusammen mit Partnerfirmen werden interessierten Kunden zudem komplette energetische Modernisierungen älterer Gebäuden „aus einer Hand“ angeboten. Aufgrund ihrer vielfältigen Erfahrung und der Anerkennung durch Fachwelt können die Grünspechte ihr Gefieder mittlerweile gehörig aufplustern. Die 25 Mitarbeiter sind ein quirliger Schwarm bunter Vögel, die mit viel Eigenständigkeit, Einsatz, Verantwortungsbewusstsein und Phantasie ihre Kunden begeistern. Fünf Zimmerermeister sorgen für Qualität und drei Auszubildende stehen für den Blick in die Zukunft.
Genossenschaftliche Strukturen
Hallenberger, im Vorstand verantwortlich für Werbung und Vertrieb, sieht die Firma nicht zuletzt aufgrund ihrer Genossenschaftsstruktur als gefestigt an. „Heute sind alle Generationen und Altersgruppen im Betrieb vertreten“, betont er. „Das basisdemokratische Patriarchat, abgelöst von der Oligarchie der Fünf, wurde weiterentwickelt zu einer lebendigen genossenschaftlichen Unternehmenskultur.“ Viele auch junge Genossenschaftsmitglieder, haben darin verantwortungsbewusst Aufgaben übernommen. Von den 16 Genossenschaftsmitgliedern arbeiten sieben direkt im Unternehmen mit, zwei sind als Architekten eng mit der Alltagsarbeit des Betriebes verbunden.
„Die flache Hierarchie bei gleichzeitig klaren Strukturen führt“, so Hallenberger, „zu einer hochgradigen Identifikation der Mitarbeiter.“ Jeder Beschäftigte, der als Mitglied in der Genossenschaft Verantwortung und Einfluss auf die Unternehmensentwicklung nehmen will, wird gerne aufgenommen. Einzelne Mitarbeiter spricht der Vorstand auch aktiv auf eine Mitgliedschaft an. 2.500 EURO Pflichtanteile, die langfristige Bindung an die Genossenschaft und eine intensivere Beteiligung an den Unternehmensentscheidungen führen aber dazu, dass jeder Beitritt genau abgewogen wird. Trotzdem treten immer wieder jüngere Mitarbeiter der Genossenschaft bei und sichern so, die langfristige Unternehmensnachfolge.
Betriebliche Sozialpolitik
Manches, was früher als Utopie verfolgt wurde, lässt sich heute bei Grünspecht durch die gute wirtschaftliche Situation tatsächlich verwirklichen. Die dafür notwendigen Spielräume bieten die an Verantwortung und Zuverlässigkeit orientierten Strukturen. Beispielsweise Familienorientierung wird von der Genossenschaft konsequent unterstützt. Matthias Wörner, seit fünf Jahren im Vorstand verantwortlich für die Produktion, nahm ein Jahr Elternauszeit. Anschließend konnte er sein Arbeitsbudget auf drei Tage die Woche verringern, um sich mehr seiner fünfköpfigen Familie zu widmen. Kein Einzelfall. Für solche Chancen und Möglichkeiten existiert bei Grünspecht kein Regelwerk. Der Förderauftrag der Produktivgenossenschaft, die neben Arbeitsplatzsicherheit, angemessenem Einkommen auch gute Arbeitsbedingungen anbieten will, lässt dies zur angestrebten Selbstverständlichkeit werden. |