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Samstag, 20. April 2024
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Ausstellungstipp: Eindeutig bis zweifelhaft
Skulpturen und ihre Geschichten (Erworben 1933–1945)

bis 27. August 2017
Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt a.M.

Im Frühjahr blickt die Liebieghaus Skulpturensammlung auf ein bislang kaum beachtetes Kapitel ihrer Sammlungs- und Museumsgeschichte zurück: die Zeit des Nationalsozialismus und die während dieser Jahre getätigten Erwerbungen. Die Ausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten (Erworben 1933–1945)“ gewährt bis 27. August 2017 anhand von zwölf ausgewählten Objekten Einblicke in die Historie des Museums in den Jahren 1933 bis 1945 und erzählt von den Menschen, die mit diesen Kunstwerken aufs Engste verbunden waren und sind. Als eines der ersten Museen Deutschlands untersucht das Städel Museum bereits seit dem Jahr 2001 seine Sammlungen auf verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke. Im Frühjahr 2015 wurde die Provenienzforschung um ein umfassendes Projekt zur systematischen Untersuchung der Bestände der Liebieghaus Skulpturensammlung erweitert, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und der Stadt Frankfurt am Main unterstützt wird. In der Sonderausstellung werden nun die aktuellen Forschungsergebnisse dieser Initiative vorgestellt und mittels eines Parcours durch die drei Hauptabteilungen der Skulpturensammlung – Antike, Mittelalter und Renaissance bis Klassizismus – präsentiert.

Die Ausstellung erzählt die bewegten Geschichten von Sammlern wie Harry Fuld, Maximilian von Goldschmidt-Rothschild oder Carl von Weinberg, die dem Liebieghaus über Jahrzehnte hinweg eng verbunden waren, sowie von heute fast vergessenen Sammlerpersönlichkeiten wie dem Ehepaar Oswald und Alice Feis. Auch das mitunter widersprüchliche Handeln der Museumsmitarbeiter während der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere des Direktors Alfred Wolters, ist Teil der Präsentation. Als Einführung dient ein konzentrierter Überblick über die Geschichte des Liebieghauses unter besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 bis 1945. Thematisiert werden rechtmäßige und unrechtmäßige Erwerbungen im In- und Ausland, aber auch Personalpolitik, kriegsbedingte Museumsschließung, Auslagerung und Kriegsverluste sowie Restitutionsvereinbarungen der Nachkriegszeit. Die zwölf ausgewählten Objektbeispiele stehen stellvertretend für bestimmte Erwerbungsarten und damit verbundene Handlungsweisen. Dabei werden der Öffentlichkeit auch jüngste, noch unveröffentlichte Erkenntnisse vorgestellt.

Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt wird gefördert durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und die Stadt Frankfurt am Main.

„Provenzienforschung ist eine moralische Pflicht und ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Museumsarbeit. Mit der ebenso offenen wie transparenten Aufarbeitung und Präsentation aktueller Forschungsergebnisse in diesem Bereich stellt sich die Liebieghaus Skulpturensammlung ihrer historischen und gesellschaftlichen Verantwortung als Museum“, kommentiert Dr. Philipp Demandt, Direktor des Liebieghauses, die von ihm initiierte Ausstellung.

„Mit der Geschichte der Objekte aufs Engste verknüpft sind die Geschichten von Menschen. Die Erinnerung an ehemalige Vorbesitzer und das Bewusstsein, dass jedes Objekt, das heute in einem Museum, einer Galerie oder im Privaten zu sehen ist, eine Vorgeschichte besitzt, bilden die Grundlage der Ausstellung und die Grundlage unserer Provenienzforschung“, ergänzt Dr. Eva Mongi-Vollmer, die Kuratorin der Ausstellung.

Insofern versteht sich „Eindeutig bis zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten (Erworben 1933–1945)“ auf vielen Ebenen auch als ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis. Dies umfasst sowohl die Rekonstruktion und nachvollziehbare Vermittlung geschichtlicher Vorgänge als auch das Aufwerfen bzw. Aufzeigen weiterhin offener Fragen sowie die Interpretation und Bewertung von Forschungsergebnissen. Seit Mai 2015 untersucht die Liebieghaus Skulpturensammlung systematisch die Herkunft aller nach 1933 erworbenen Objekte aus ihrem Bestand. Es wird geprüft, ob sich darunter Stücke befinden, die verfolgungsbedingt aus jüdischem Besitz in die Sammlung kamen. Das Liebieghaus erwarb in den Jahren 1933 bis 1945 insgesamt 471 Objekte. Heute befinden sich davon noch 152 im Bestand, da die restlichen Stücke unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der alliierten Rückerstattungsgesetzgebung restituiert wurden. Von 1945 bis heute gelangten ungefähr 230 weitere Objekte in die Sammlung des Liebieghauses hinzu. Ein zentrales Anliegen des von Dr. Iris Schmeisser (Projektleiterin) und Anna Heckötter (wissenschaftliche Mitarbeiterin) durchgeführten Forschungsprojekts ist darüber hinaus die Aufarbeitung der Geschichte der Institution und deren Ankaufspolitik in den Jahren 1933 bis 1945 sowie der kulturpolitische Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit und der damals erfolgten Rückerstattungen. Des Weiteren sollen insbesondere die Biografien der jüdischen Privatsammler bzw. Vorbesitzer und deren Beziehungen zum Liebieghaus rekonstruiert werden, die in der bisherigen Forschung zur Sammlungsgeschichte nur sehr wenig oder gar keine Berücksichtigung gefunden haben.

Die Ausstellung wird von einem umfassenden Vermittlungsprogramm begleitet: Neben einem Digitorial zur Online-Vorbereitung findet unter anderem am 29. Juni eine Veranstaltung zu „Alfred Wolters. Direktor des Liebieghauses 1928–1949“ (Arbeitstitel) statt.

Provenienzforschung am Liebieghaus
Die Provenienzforschung an Museen beschäftigt sich mit der Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Objekten. Damit folgt sie der moralischen Verantwortung, die Bestände öffentlicher Institutionen auf NS-Raubgut zu untersuchen, welche sich aus den am 3. Dezember 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien sowie einer Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen des Folgejahres ableitet.
Ein Objekt auf seine Provenienz zu prüfen, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass diese sich in jedem Fall und zum jeweiligen Zeitpunkt der Untersuchungen lückenlos und endgültig klären lässt. Daher kommt Provenienzforschung häufig nicht zu einem eindeutigen Abschluss, liefert in der Regel keine einfachen Antworten und hinterlässt oft zahlreiche offene Fragen. Überdies handelt es sich bei jeder Objektrecherche um eine Einzelfallanalyse, so dass kein standardisiertes Untersuchungsmuster existieren kann. Aus diesen Gründen kann sich der Forschungsstand zu einem Objekt kontinuierlich verändern. Doch Provenienzforschung umfasst weit mehr als die bloße Rekonstruktion und Klärung der Eigentumsverhältnisse von Werken. Sie betrifft zugleich und ganz wesentlich immer auch Fragen des kulturellen Gedächtnisses – sowohl im Hinblick auf die mit den jeweiligen Objekten verknüpften Personen und Einzelschicksale als auch auf die Rolle von Institutionen in diesem spezifischen Kontext.
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Eintrag vom: 26.06.2017  




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