Prolixletter
Donnerstag, 25. April 2024
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Erklärung der Freiburger Stadtdekane
zur Diskussion um die vorgeschlagene Umbenennung von Freiburger Straßennamen

In Freiburg findet gerade eine breite öffentliche Diskussion um hiesige "belastete" Straßennamen statt. Am 15. November wird der Freiburger Gemeinderat über das Gutachten einer städtischen Expertenkommission debattieren das die Änderung von 12 Straßennamen empfiehlt.
In die Diskussion schalten sich jetzt auch der evangelische Stadtdekan Markus Engelhardt und der katholische Stadtdekan und Dompfarrer Wolfgang Gaber ein. Nachfolgend eine gemeinsame Erklärung der beiden.
In der "Erklärung der Freiburger Stadtdekane zur Diskussion um die vorgeschlagene Umbenennung von Freiburger Straßennamen" erläutern die beiden Theologen, warum sie die Vorschläge der Historiker-Kommission mit "einiger Skepsis betrachten"

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Mit einiger Skepsis betrachten wir als Dekane der evangelischen und der katholischen Kirche in Freiburg die Vorschläge der mit der Prüfung der Freiburger Straßennamen beauftragten Historiker-Kommission. Natürlich sind die 12 zur Umbenennung vorgeschlagenen Namen differenziert zu sehen. Den prominentesten „Fall“ aber möchten wir kritisch aufgreifen. Dass der weltberühmte Freiburger Philosoph Martin Heidegger, 1933 Rektor der Universität, nicht nur mindestens zeitweilig überzeugter Nazi war und bis zum Schluß der NSDAP angehörte, sondern stark antisemitisch eingefärbt war, war seit Jahrzehnten jedem, der es wissen wollte, bekannt. Heideggers notorischer Umgang ab 1933 mit seinem philosophischen Freiburger Lehrer Edmund Husserl wirft darauf ein entsprechendes Licht. Dieser Tatbestand hat auch durch die zwischenzeitliche Publikation von Heideggers sog. Schwarzen Heften keine neue „Qualität“ erhalten. Zugleich ist es über Jahrzehnte kein Thema der Freiburger Zivilgesellschaft gewesen, deshalb einen Martin-Heidegger-Weg als unserer Stadt unwürdig anzusehen. Heideggers Rang als einer der wirkmächtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, der auch Jahrzehnte nach seinem Tod weltweit und besonders bei unseren französischen Nachbarn gelesen und fruchtbar rezipiert wird, ist unstrittig, gleich welche Haltung man sachlich zu seinem Denken einnimmt. Als Theologen stellen wir fest: ohne die Heiderggersche Existentialphilosophie ist die neuere evangelische wie katholische Theologie und Bibelexegese nicht vorstellbar. Zwei Theologen von Weltrang wie katholischerseits Karl Rahner und evangelischerseits Rudolf Bultmann wären ohne den Hintergrund von Heideggers Denken gar nicht zu verstehen!

Nun wird die Kommission die Bedeutung des Philosophen Heidegger kaum in Zweifel ziehen. Aber gegen den Philosophen wird die mangelnde Integrität der Person Heidegger wegen seiner politischen Haltung und seines Antisemitismus ins Feld geführt. Dies halten wir für bedenklich. Um das an einem noch prominenteren Beispiel deutlich zu machen: Martin Luther, der im kommenden Jubiläumsjahr der Reformation weltweit im Fokus steht, wurde im Lauf seines Lebens zu einem schlimmen Judenfeind, dessen Antisemitismus dem Heideggers nachweislich nicht nachstand. Müsste nach der Logik der Kommission nicht konsequenterweise auch die Lutherkirchstraße beim Uni-Klinikum umbenannt werden? Aus unserer Sicht wären solche Entscheidungen weder historisch noch moralisch eine überzeugende Lösung.

Freiburg hat einen herausragenden Ruf als ausgeprägt liberale Stadt zu verteidigen. Viele unterschiedliche, auch divergierende Meinungen und Weltanschauungen koexistieren fruchtbar in unserer Stadt. Liberalität als Grundhaltung hat neben anderen auch eine wichtige Wurzel im gerne beschworenen jüdisch-christlichen Menschenbild: Der Mensch ist nicht perfekt, er ist zu Großem ebenso wie zu Schrecklichem fähig. Das biblische Bild vom Menschen weiß um dessen einzigartige Gottebenbildlichkeit und Begabung zum Guten ebenso wie um seine prinzipielle Verführbarkeit und Anfälligkeit, schuldig zu werden. Und: jeder Mensch ist noch mehr als die Summe seiner Erfolge und seiner Abgründe. Er bleibt ein letztlich unverfügbares Geheimnis, das sich menschlicher Letztbeurteilung entzieht und auf das Erbarmen Gottes angewiesen ist. Als Vertreter der beiden großen Kirchen wünschen wir uns, daß auch dieser anthropologische Sachverhalt die Überlegungen des Gemeinderates beeinflusst, wenn über die Vorschläge der Kommission zu entscheiden ist.

„Ich bin kein ausgeklügelt Buch / Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch“ (C.F. Meyer): das Dichterwort gilt für jeden Menschen. Was werden die Nachgeborenen dereinst über uns urteilen? Welche Zusammenhänge in Schuld, die uns heute evt. gar nicht bewußt sind, werden spätere Generationen einmal uns vorhalten? Auch wir würden uns Barmherzigkeit und ein differenziertes Hinsehen und Urteilen wünschen. Von einer solchen Haltung kann ein Gemeinwesen nur profitieren. Deshalb halten wir es für die politisch klügere und moralisch glaubwürdigere Option, vom „Auslöschen“ umstrittener Straßennamen nach Art des Internets Abstand zu nehmen und die betr. Straßenschilder mit ergänzenden Auskunftstafeln zu versehen, die auch Kritikwürdiges benennen.

Markus Engelhardt
Stadtdekan der Evangelischen Kirche in Freiburg

Wolfgang Gaber
Stadtdekan der Katholischen Kirche in Freiburg
 
Eintrag vom: 18.10.2016  




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