| Ermordung des Freiburger Arztes Tonio Pflaum 1983 in Nicaragua gab Anstoß zu ungewöhnlicher Verbindung
 
 Freiburg-Wiwili-Verein blickt auf 30jähriges Bestehen zurück
 
 42 Schulpatenschaften geben Kindern Hoffnung auf ein
 besseres Leben
 
 Im Jahr der vielen Jubiläen mit den Freiburger Partnerstädten
 kommt jetzt auch das Jubiläum der Städtefreundschaft mit
 Wiwili hinzu: Seit 25 Jahren ist Freiburg mit der kleinen Stadt
 im Norden Nicaraguas freundschaftlich verbunden. Am kommenden
 Donnerstag findet aus diesem Grund ein kleiner
 Festakt im Historischen Ratssaal des Rathauses statt. Oberbürgermeister
 Dieter Salomon wird mit dem Wiwili-Verein und
 den Freunden und Förderern Wiwilis das Jubiläum feiern. .
 
 Der eigentliche große Festakt wird jedoch nächstes Frühjahr
 in Wiwili stattfinden, wenn eine offizielle Freiburger Delegation
 mit OB Salomon und Bürgermeister von Kirchbach dort zu
 Besuch sein wird.
 
 Unter den neun Freiburger Städteverbindungen ist die
 Freundschaft mit Wiwili die außergewöhnlichste: Man ist zwar
 nicht durch eine formelle Partnerschaft verbunden, dennoch
 ist diese Städtefreundschaft vitaler als manche offizielle Partnerschaft
 mit Brief und Siegel: Sie war und ist Grundlage
 zahlreicher Hilfsprogramme, aus denen unter anderem eine
 Gesundheitsstation, eine Wasserversorgung, Schulpatenschaften
 für 42 Kinder, die Wiederaufforstung von kahlgeschlagenen
 Waldflächen oder Programme zum Aufbau einer
 
 ökologischen Landwirtschaft entstanden sind – in der Regel
 als Hilfe zur Selbsthilfe, für die die Stadt, der „Freiburg-Wiwili-
 Verein“ und die Europäische Union finanzielle und organisatorische
 Unterstützung bereitstellen und die heute vor Ort überwiegend
 durch die „Asociatión de Desarollo Municipal“ (ADEM,
 zu deutsch: Verein für Kommunalentwicklung) betreut
 und umgesetzt werden.
 
 Die Geschichte der Städtefreundschaft Freiburg-Wiwili ist jedoch
 nicht nur eine Geschichte solidarischer Hilfe, sondern
 auch eine Geschichte von Tod und Leid. Drei Menschen, die
 sich besonders für die Städteverbindung engagiert hatten,
 wurden Opfer von Mordanschlägen. Am 30. April 1983 erschossen
 Contras den Freiburger Arzt Albrecht „Tonio“
 Pflaum in Wiwili zusammen mit 13 anderen Menschen, darunter
 zwei Krankenschwestern. Wiwili, nur eine halbe Stunde
 von der Grenze entfernt, war immer wieder Opfer von Angriffen
 der Contras, die vom nahen Honduras aus in das Land
 eindrangen. Tonio Pflaum war 1980 im Auftrag des Deutschen
 Entwicklungsdienstes nach Nicaragua gegangen und
 arbeitete am Aufbau einer Gesundheitsstation mit. Bis zu seiner
 Ermordung – er wurde nur 36 Jahre alt – hatte er mit seinen
 Kollegen rund 25.000 Patienten behandelt, über 200 Entbindungen
 und 79 Operationen durchgeführt.
 
 Um sein Lebenswerk weiterzuführen, gründeten sich der
 „Freundeskreis Tonio Pflaum“ und der „Verein zur Förderung
 einer Städtepartnerschaft Freiburg-Wiwili“ und initiierten den
 Bau einer Trinkwasserleitung in Wiwili. Bei den Bauarbeiten
 starb ein weiterer Freiburger: Berndt Koberstein, der als Aufbauhelfer
 nach Nicaragua gereist war, wurde im August 1986
 nahe Wiwili von Contras ermordet.
 
 Die Trinkwasserversorgung sollte das erste von mehreren
 erfolgreichen Projekten werden, die bis heute die Städtefreundschaft
 zwischen Freiburg und Wiwili mit Leben erfüllen.
 Im Oktober 1988 lud der damalige Oberbürgermeister Rolf
 Böhme den Bürgermeister von Wiwili, Don Javier Barahona,
 zu einem Besuch ein, in dessen Rahmen die Städtefreundschaft
 offiziell besiegelt wurde. Auch Javier Barahona wurde
 später ein Opfer des Krieges. In den 90er Jahren erschossen
 Contras den Kommunalpolitiker, in dessen Haus Tonio
 Pflaum einst die Medizinstation gegründet hatte.
 
 Die Stadt Freiburg hat ihre Unterstützung von Beginn an als
 humanitäre Hilfe verstanden. Für den Bau der Trinkwasserleitung
 als erstes Projekt stellte der Gemeinderat insgesamt
 365.000 DM bereit, was rund einem Viertel der Gesamtkosten
 entsprach; darüber hinaus lieferte die damalige Freiburger
 Energie- und Wasserversorgung (FEW) technisches Gerät
 und Rohrleitungen und bildete in Freiburg nicaraguanische
 
 Helfer für den Bau und Betrieb der Anlage aus. Von 1993 bis
 1998 finanzierte die Stadt Freiburg ein Programm für die Wiederaufforstung
 und den Erosionsschutz von gerodeten Waldflächen
 mit rund 300.000 DM mit; den Löwenanteil zu den
 Gesamtkosten von ca. 1,5 Mio. DM stellte die Europäische
 Union zur Verfügung. An das Wiederaufforstungsprogramm
 knüpfte auch die Unterstützung für ökologischen Landbau an,
 für die im städtischen Haushalt 2001 bis 2005 jährlich 25.000
 Euro gewährt wurden. Von 2007 bis 2012 konnte das zweite
 EU-Projekt durchgeführt werden, das Umweltschutz und
 nachhaltige integrierte ländliche Entwicklung in Wiwili und den
 ländlichen Gemeinden unterstützte.
 
 Bei allen Vorhaben arbeitet das Bürgermeisteramt eng mit
 dem „Freiburg-Wiwili-Verein“ zusammen, der aus eigenen
 Spendenmitteln Gelder beisteuert und die Verbindungen in
 die Partnergemeinde hält, sowie vor Ort mit der Organisation
 „Asociatión de Desarollo Municipal“, in deren Hand die konkrete
 Umsetzung liegt. Die Wiwili-Kommission des Gemeinderats,
 in der alle Fraktionen vertreten sind, lässt sich regelmäßig
 informieren und begleitet die Arbeit mit eigenen Anregungen.
 
 Dass Solidarität mit Wiwili nicht nur eine Sache des Gemeinderats
 und des städtischen Haushalts ist, erwies sich unter
 anderem nach dem verheerenden Wirbelsturm „Mitch“ im Oktober
 1998. Weil der Hurrikan zahlreiche Menschenleben gefordert
 und große Teile von Wiwili zerstört hatte, rief die Stadt
 zu Spenden für den Wiederaufbau und für die Reparatur der
 beschädigten Trinkwasserleitung auf. Binnen weniger Tage
 kamen mehr als 500.000 DM zusammen, um die größte Not
 lindern zu können.
 
 Nach einer Reise nach Wiwili im Frühjahr 2004 rief Oberbürgermeister
 Dieter Salomon die „Aktion Bildungsbaustein“ ins
 Leben, um Kindern aus armen Familien einen Schulbesuch
 zu ermöglichen – bis heute können in ländlichen Gebieten
 trotz der von den Sandinisten begonnenen Alphabetisierungskampagne
 rund 40 Prozent der Menschen nicht lesen
 und schreiben. Auf den ersten Aufruf kamen 10.000 Euro zusammen,
 mit denen das Gehalt von Lehrern finanziert wird.
 Mittlerweile haben Freiburgerinnen und Freiburger Schulpatenschaften
 für 42 Kinder in Wiwili übernommen, um ihnen
 einen regelmäßigen Schulbesuch zu ermöglichen. Mit jährlich
 360 Euro pro Kind werden die Schulgelder und Lehrer bezahlt.
 
 Welchen Stellenwert die Städtefreundschaft hat, zeigt das
 Interesse an Reisen nach Wiwili. Nach einer ersten Bürgerreise
 im Mai 2006 war im Februar 2008 eine Delegation der
 Gewerkschaft verdi zu Gast in Wiwili, und im Mai 2008 be-
 suchte eine Schülergruppe des Droste-Hülshoff-Gymnasiums
 mit ihrer Lehrerin Marlu Würmell-Klauss, der Vorsitzenden
 des Freiburg-Wiwili-Vereins, die kleine Stadt am Rio Coco in
 Nordnicaragua. Im Frühjahr 2009 kam es zum Gegenbesuch
 zweier Jugendlicher aus Wiwili, im April 2012 fand die bislang
 zweite Bürgerreise des Freiburg-Wiwili Vereins statt. Anfang
 März 2014 wird eine städtische Delegation nach Wiwili reisen.
 
 Seit Montag dieser Woche sind zudem zwei Mitglieder des
 Wiwili-Vereins vor Ort, um das dritte EU-Projekt zu planen.
 
 In Freiburg ist Wiwili an prominenter Stelle im Stadtbild präsent.
 2003 benannte der Gemeinderat die im Volksmund als
 „Blaue Brücke“ bekannte Fußgänger- und Radfahrerbrücke
 zwischen der Bismarckallee und dem Stühlinger in „Wiwili-
 Brücke“ um.
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